22.08.2024
Der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) kommt ein hoher Beweiswert zu, dass die Arbeitsunfähigkeit aus medizinischen Gründen wirklich besteht. Dieser Beweiswert kann aber erschüttert sein, insbesondere in Zusammenhang mit einer Kündigung. Dazu schon der Beitrag vom 6.8.2023 (auf dieser Seite unter „Arbeitsrecht – Entscheidungen“). In den letzten Jahren häufen sich Entscheidungen der Arbeitsgerichte, die sich mit dieser Problematik befassen. Das hat wohl auch damit zu tun, dass sich die Krankheitszeiten in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet haben und immer häufiger nach einer Kündigung – gleich von welcher Seite – eine AUB vorgelegt wird.
Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat jetzt in einem aktuellen Urteil vom 7.5.2024 entschieden, dass der Beweiswert der AUB regelmäßig erschüttert ist, wenn der Arbeitnehmer nach einer Kündigung – gleich, ob Eigen- oder Arbeitgeberkündigung – Bescheinigungen vorlegt, passgenau den Zeitraum bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses abdecken. Der Arbeitgeber kann dann nähere Informationen zu der Erkrankung verlangen. Der Arbeitnehmer muss dann darlegen und ggfls. Beweisen, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestehen und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden und inwieweit diese befolgt wurden. Auch Vorerkrankungen sind ggfls. Offen zulegen. Zudem ist ggfls. Der Arzt von seiner Schweigepflicht gegenüber dem Arbeitgeber zu entbinden.
(LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 7.5.2024, Az: 5 Sa 98/23).
Wichtig: Kommt der Arbeitnehmer dem nicht nach, kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigern. Zudem besteht das Risiko, dass der Arbeitnehmer sich strafbar machen kann, wenn in Wirklichkeit keine Arbeitsunfähigkeit besteht (Lohnbetrug).
Peter A. Aßmann
04.07.2024
Werden Arbeitnehmer im Betrieb geimpft, kann dies unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) in einem brandaktuellen Urteil vom 27.6.2024 entschieden
In dem Fall ging es um einen Krankenhauskoch, der - wie heutzutage verbreitet - nicht beim Krankenhauses, sondern bei einem Cateringunternehmen angestellt war, das die Krankenhausküche betrieb. Er nahm an einer vom Krankenhaus organisierten Impfung gegen Schweinegrippe (Influenza A/H1N1) teil. Jahre später traten Fieberschübe auf, die der Koch auf die Impfung zurückführte. Die in Anspruch genommene Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab.
Die dagegen gerichtete Klage des Kochs wiesen sowohl das Sozialgericht als auch das Landessozialgericht ab. Das Bundessozialgericht hingegen hob die Entscheidung auf und verwies die Sache an das Landessozialgericht zurück, weil noch weiterer Aufklärungsbedarf bestand.
In dem Urteil führt das BSG aus, dass auch eine planmäßig und freiwillig durchgeführte Impfung ein Unfallereignis sein kann, wenn sie zu einem im Schaden führt. Allerdings muss zusätzlich ein innerer Zusammenhang der konkreten Impfung mit der versicherten Tätigkeit, also der Arbeit, gegeben sein. Dabei stellt das Gericht klar, dass dieser innere Zusammenhang nicht bereits dann gegeben ist, wenn die Impfung vom Arbeitgeber empfohlen, finanziert und dann auch im Betrieb durchgeführt wird.
Ein innerer Zusammenhang kann aber anzunehmen sein, wenn die Teilnahme an der Impfung wesentlich betrieblichen Zwecken dient. Im entschiedenen Fall hat das Gericht darauf abgestellt, dass in einem Krankenhaus mit einem gesteigerten Interesse an einem möglichst umfassenden Gesundheitsschutz für Patienten dieser innere Zusammenhang gegeben sein kann, wenn die Impfung aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses unter Berücksichtigung der Empfehlung der ständigen Impfkommission erforderlich war oder der Beschäftigte diese Erforderlichkeit aufgrund besonderer Umstände annehmen durfte.
Da das Landessozialgericht zu diesen sondern Umständen keine Feststellungen getroffen hatte, wurde das Verfahren zurückverwiesen um die weiter erforderliche Aufklärung durchzuführen.
(Bundessozialgericht, Urteil vom 27. 2624, Aktenzeichen B 2 U 3/22 R).
Wichtig: Die Entscheidung ist zwar ergangen zu einem Fall einer Impfung gegen Schweinegrippe, dürfte aber große Bedeutung haben für die Impfungen gegen das Korona-Virus in der Pandemie. Die massenhaft durchgeführten Impfungen haben in vielen Fällen zu gravierenden Impfschäden geführt.
Bekanntlich wurde von staatlicher Seite, Ärzteverbänden aber auch den Medien massiv für Impfungen getrommelt und erheblicher Druck auf die Bürger entfacht, für viele ein faktischer Zwang. Es gab zwar keine allgemeine flächendeckende, aber in bestimmten Bereichen eine einrichtungsbezogene Impfpflicht, von März bis Dezember 2022. So in Einrichtungen des Gesundheitswesens (Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen etc.). Dort durften ab einem bestimmten Zeitpunkt Mitarbeiter nur noch arbeiten bzw. beschäftigt werden, wenn sie gegen das Virus geimpft waren. Wer sich nicht impfen lassen wollte, riskierte seinen Arbeitsplatz. In diesen Fällen ist der innere Zusammenhang der Impfung mit der versicherten Tätigkeit offensichtlich.
Aber auch in vielen anderen Betrieben wurde die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, vorausgesetzt bzw. verlangt und es gab vielfach Sanktionen bei Weigerung. Auch in diesen Fällen dürfte im Ergebnis der zu fordernde innere Zusammenhang gegeben sein.
Dies hat zur Konsequenz, dass Arbeitnehmer die sich im Betrieb oder wegen der Beschäftigung impfen ließen und bei denen sich später ein Impfschaden herausstellt, Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung , insbesondere auf eine Unfallrente haben können.
Fazit: Jedem Arbeitnehmer, der sich im Betrieb oder wegen seiner Arbeit gegen das Corona-Virus hat impfen lassen, sollte unbedingt die Möglichkeit eines Antrags auf Anerkennung als Arbeitsunfall prüfen. Wegen der komplexen Voraussetzungen und Schwierigkeiten sollte unbedingt fachkundiger Rat und Unterstützung eingeholt werden.
09.08.2023
Das Urlaubsrecht in Deutschland ist seit Jahren im Fluss. Das gilt besonders, bei Langzeiterkrankung über das Jahresende und das erste Quartal des Folgejahres hinaus.
Früher war es in Deutschland so, dass auch bei einer Langzeiterkrankung über das Jahresende hinaus nicht genommener Urlaub zwar in das Folgejahr übertragen wurde, dann aber am 31. März verfiel. Das ist ausdrücklich so im Bundesurlaubsgesetz geregelt.
Diese Rechtslage hat sich schon vor Jahren geändert und zwar durch europarechtliche Vorgaben. Danach verfällt bei Langzeiterkrankung jedenfalls der gesetzliche Mindesturlaub nicht am 31. März des Folgejahres, sondern erst ein Jahr später. Der Gesetzgeber, der ja sonst gerade im Arbeitsrecht sich durch eine regelrechte „Regelungswut“ auszeichnet, hat diese europarechtlichen Vorgaben bislang nicht im Bundesurlaubsgesetz umgesetzt. Daher wenden die Gerichte des Bundesurlaubsgesetz in einer „europarechtskonformen Auslegung“ (so die Formulierung der Arbeitsgerichte) an.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) München hatte kürzlich zu entscheiden, ob das auch bei tariflichen Urlaubsansprüchen und auch bei Arbeitsverhältnissen im öffentlichen Dienst gilt. Dort besagt nämlich der einschlägige Tarifvertrag (TVÖD) in § 26 Abs. 2a in Abweichung vom Bundesurlaubsgesetz, dass im Falle einer Übertragung der Erholungsurlaub in den ersten 3 Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden müsse. Weiter heißt es im Tarifvertrag, dass der Erholungsurlaub, wenn er wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden könne, er bis zum 31. Mai anzutreten sei.
Des LAG München hat entschieden, dass diese Regelung im Tarifvertrag auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht anzuwenden ist. Dort gilt hingegen das Bundesurlaubsgesetz mit der europarechtlichen Auslegung. Der gesetzliche Mindesturlaub verfällt also nicht schon am 31. März des Folgejahres, sondern erst 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres.
Für den zusätzlichen tariflichen Urlaub gilt hingegen die Regelung im Tarifvertrag, sodass dieser Anspruch spätestens am 31. Mai des Folgejahres verfällt.
(LAG München, Urteil vom 23.3.2023, 3 Sa 497 / 22)
Anmerkung: Aus meiner Sicht ist die Untätigkeit des Gesetzgebers in diesem Bereich aus rechtsstaatlicher Sicht ärgerlich. Gesetze sollen ja die Rechtslage wiedergeben. Die Bürger sollen darauf vertrauen können, dass der Gesetzestext, den Sie sich anschauen, auch die wirkliche Rechtslage korrekt darstellt.
Das Versäumnis des Gesetzgebers ist umso unverständlicher, als die Rechtslage sich schon vor Jahren geändert hat und die entsprechende Änderung des Gesetzestextes keinen größeren Aufwand erfordert. Scheinbar aber hat man im Bundesarbeitsministerium wichtigeres zu tun, als für den Bürger transparente gesetzliche Regelung zu schaffen.